Die Region, die seit 1816 „Rheinhessen” genannt wird, ist mit einer Fläche von 27.312 Hektar das größte Weinanbaugebiet Deutschlands. Eine Landschaft mit Geschichte und Tradition.
Schon zuzeiten des Kaisers Augustus vor 2000 Jahren brachten römische Händler Wein als Lebensmittel an den Rhein. Es dauerte nicht lange und die Menschen in der Region ergänzten den aufwendigen Import von Wein aus dem europäischen Süden durch den eigenen Anbau von Weinreben.
Wie sich zeigt, ist Weinbau am Rhein ein bis in unsere Zeit nachhaltiges und erfolgreiches Projekt! Denn ganz offenbar fanden die Rebpflanzen der Gattung vitis vinifera hier am unteren Oberrhein die richtigen Böden und auch ein geeignetes Klima vor, um zu gedeihen, um reife Früchte und somit einen guten Traubensaft hervorzubringen, der wiederum zu einem wohlschmeckenden und bekömmlichen Wein gekeltert werden konnte. Kein Wunder!, sagen Historiker, schließlich sei die Unterart der kultivierten Rebe – die Wildrebe (vitis vinifera sylvestris) – seit der letzten Eiszeit vor etwa 10.000 Jahren in den Auenwäldern entlang des Oberrheins heimisch.
Heimspiel für vitis vinifera
Während in den mehr als 400 Jahren des Aufenthalts der Römer am Rhein Wein meistens als mit Wasser verdünntes Getränk konsumiert wurde, ein alltägliches Lebensmittel war, spielte der Genussfaktor zu jener Zeit eine eher untergeordnete Rolle. Tatsächlich aber bildete sich seit den ersten Versuchen mit der regionalen Kultivierung der Weinrebe eine allmählich Bedeutung des Weinbaus für die regionale Bevölkerung heraus: Lebensmittel, Handelsware, landwirtschaftliches Produkt für das eine allmähliche Umformung der ursprünglichen Natur zur Kulturlandschaft vollzogen wurde. Waren die ersten Anbauflächen noch flach, wurde der Weinanbau allmählich mehr und mehr auf die Anhöhen, in die (Wein-)Berge verlagert. Die einst wild rankende Pflanze (Wein ist ein Lianengewächs!) wurde durch Beschnitt zu einzelnen Weinstöcken gebändigt und so deren ganze physiologische Kraft zur Ausbildung immer besser schmeckender Trauben konzentriert. Schnell zeigte sich dabei, dass die Art der Ausrichtung der Pflanzen zur Sonne hin und auch die unterschiedlich beschaffenen und geologisch zusammengesetzten Böden Einfluss auf Ertrag, Qualität und schließlich auch den Charakter des Weins hatten. Worauf das autochthone, natürliche Vorkommen der Wildrebe in der Region hinweist, bestätigte sich durchaus in der Praxis: vitis vinifera erlebte von Anfang an ein Heimspiel im heutigen Rheinhessen. Wie bedeutsam das einmal werden sollte, zeigt sich geradezu atemberaubend am deutlichsten daran: Die Rebsorte Riesling, die noch heute das Weinanbaugebiet Rheinhessen in Bezug auf Menge, Qualität und Bekanntheit in der Welt entscheidend prägt, ist eine spontane genetische Kreuzung aus den Sorten Heinisch, Traminer und eben jener wilden Unterart vitis vinifera sylvestris, die seit 10.000 Jahren in dieser Region zuhause ist.
Wein wurde rasch zum Wirtschaftsfaktor und förderte die Zivilisation der heimischen Bevölkerung schon in der Antike. Nur wenige dokumentierte Quellen sprechen aus den Jahren der Spätantike und dem frühesten Mittelalter in Sachen Wein zu uns. Es sind überwiegend archäologische Funde, die den Blick auf den frühen Weinbau am Rhein erhellen.
Im späten 5. Jahrhundert geht das weströmische Reich unter. Die meisten Römer ziehen sich nach Süden zurück, diejenigen Römer, die es vorzogen am Rhein zu bleiben, verschmelzen über Generationen allmählich mit dem allgemeinen Völkergemisch der Spätantike. Wie es mit dem Weinbau im heutigen Rheinhessen weitergegangen war, lässt sich erst anhand von Dokumenten aus der Zeit etwa 300 Jahre nach den Römern rekonstruieren. Diese folgende Epoche wird Frühmittelalter genannt, ist eine von den Karolingern geprägte Epoche Mitte des 8. Jahrhunderts. Mit der allmählichen Christianisierung Europas von Westen her wuchs die Zahl der Bistümer und Klöster in den missionierten Regionen sprunghaft an. Zu deren Versorgung schenkten und stifteten überwiegend die weltlichen Herrscher, aber auch Privatpersonen Einnahmen aus der Landwirtschaft und oft eben auch ganze landwirtschaftliche Flächen und deren zukünftige Erträge an kirchliche Institutionen. Das ist übrigens ein Austausch zu gegenseitigem Vorteil gewesen. Die Klöster in jener Zeit waren Innovationszentren, in denen auch landwirtschaftliche Technologien erforscht und weiterentwickelt wurden, um sie dann in die alltägliche Anwendung in der Umgebung zu überführen. Rodung und Urbarmachung, Ent- und Bewässerung ganzer Landstriche wurden hier geplant und durchgeführt. Christianisierung bedeutete in jener Zeit nicht etwa ausschließlich den Zwang zur Taufe, sondern auch die Überzeugung durch die bessere (landwirtschaftliche) Technologie. Sich dem Einflussbereich der christlichen Institutionen einzugliedern hatte seinen Effekt für die Menschen des frühen Mittelalters auch darin, bessere Erträge erwirtschaften zu können. Was wiederum zu höheren Steuereinnahmen für Kirche und Kaiser und so fort und so fort führen sollte …
Von Urkunden, Weinstöcken und dem Wettbewerb der Zahlen
Es ist eine Frage der Logik: Wenn heute Dokumentenfunde diese und jene Weinbergslage als „älteste dies“ oder „ältestes das“ als Schenkung an ein Kloster oder eine Kirche ausrufen, betrifft diese Altersangabe höchstens die Urkunden selbst. Die Weinberge an sich können nämlich durchaus – ganz ohne beurkundet zu sein – schon Jahrhunderte zuvor bestanden haben, bewirtschaftet worden sein und Generationen von Menschen mit Wein versorgt haben.
Solche Altersangaben von Weinbergsanlagen in Dokumenten des frühen Mittelalters taugen zwar zu einer groben zeitlichen Orientierung, sagen aber am Ende überraschend wenig über deren tatsächliches Bestehen aus. Zumindest für alle diejenigen, die am Wein selbst und nicht nur an Zahlen interessiert sind.
Mit dieser Voraussetzung im Blick ordnen sich die Angaben in den alten Urkunden viel übersichtlicher ein. Etwa wenn die Niersteiner Weinlage, die heute Glöck genannt wird, Mitte des 8. Jahrhunderts an das neu gegründete Bistum Würzburg übertragen wird oder ein Bürger Oppenheims, namens Folkart nur wenige Jahre später einen seiner Weinberge an das Kloster Lorsch vermacht und dies beurkundet wird oder ein Weinberg in Bingen an anderer Stelle urkundlich erwähnt wird: Das sind großartige Momentaufnahmen einer bis dahin schon lebendigen und bis heute dauernden Geschichte des Weinbaus im heutigen Rheinhessen in der Spätantike und dem frühen Mittelalter.